Wenn Wissenschafter abdriften…

[Das goldene Brett ist] eine alljährlich vergebene Trophäe für den größten antiwissenschaftlichen Unsinn des Jahres. Prämiert wird, wer sich im abgelaufenen Jahr redlich bemühte, aus einer reichen Auswahl von Proponenten hervorzustechen, die nicht nur lupenreinen Unsinn produziert, sondern sich auch als dauerhaft resistent gegen jede Form der Einsicht erwiesen haben. […]

Gute Chancen auf die Goldene Himbeere der Wissenschaft hat, wer Lichtnahrung für eine brauchbare Diät hält, Geistheilung als sinnvolle Therapie betrachtet, feinstoffliche Empfindungen nicht allein auf das Tragen von Textilien beschränkt, Wasser ein Gedächtnis zubilligt oder generell hartnäckig Widerstand gegen die Wirklichkeit leistet. […]

Bemerkenswert ist, dass sich nicht nur Wünschelrutengeher, Chemtrail-Phobiker und Erfinder fantastischer Energiemaschinen dank unermüdlichen Einsatzes für die Auszeichnung empfehlen, sondern immer wieder Wissenschafter – akademisch gebildete und vermeintlich im rationalen Denken verankerte Menschen, von denen man annimmt, dass sie eher den Methoden solider, überprüfbarer Forschung zuneigen als krass abwegigen Gedankengebäuden, die mit den Naturgesetzen auf Kriegsfuß stehen. Doch manchmal propagieren just Mediziner, Physiker oder Biologen, was sie kraft ihrer Expertise unterbinden sollten: wilde Spekulation statt faktisch fundierter Äußerungen, mystische Ahnungen statt logisch geknüpfter Argumente, glatte Leugnung leicht belegbarer Tatsachen statt kundige Erläuterung von gesicherten Erkenntnissen aus Evolution, Kosmologie oder Anatomie. […]

Kommen wir aber zu Johannes Huber – genauer: ProfessorDoktorDoktor Johannes Huber, denn niemals wird auf die Nennung aller Titel verzichtet, um sogleich jedermann angesichts des vollen akademischen Gewichts dieser Kapazität in Ehrfurcht verstummen zu lassen. Einen Doktor hat Huber in Medizin, den anderen in Theologie, wobei man sich des Verdachts nicht erwehren kann, dass seine Tätigkeit zuletzt eher von letzterer Disziplin inspiriert ist. Huber hat Bücher geschrieben, die „Es existiert“ oder „Der holistische Mensch“ heißen. Worum es darin geht? Schwer zu sagen – irgendwie um alles und nichts zugleich. Dafür zündet Huber ein Dauerfeuer von Begriffen, das jeden Leiter eines Quantenheilerseminars vor Neid erblassen ließe: Herzensbildung. Energie. Schwingungen. Karma. Wünsche ans Universum. Das Übersinnliche. Schutzengel. […]

Hubers Argumentationskette ist so eingängig wie bestechend: „Photonen sind Lichtquanten. Engel sind Lichtgestalten. Engel sind ewig, Photonen sind zeitlos. Photonen sind die Engel der Physik, und beide sind Vermittler der Transzendenz.“ […]

Von Wissenschaftern darf man faktengestützte, belastbare Argumente erwarten. Außerdem nimmt man an, dass Akademiker auch dann, wenn sie sich zu fachfremden Themen äußern, die gleiche inhaltliche Sorgfalt walten lassen wie in ihrem Kerngebiet, also nicht auf einmal Unsinn ohne sachliche Erdung erzählen. […]

Wenn aber Wissenschafter aus dieser stillen Vereinbarung ausscheren, quasi die Qualitätsgarantie missachten, hat das unangenehme Folgen. Die Grenzen zwischen verlässlichem Wissen, auf das man wichtige Entscheidungen gründen kann (zum Beispiel in Bezug auf konkrete Maßnahmen gegen den Klimawandel), und purem Quatsch werden fahrlässig verwischt. […]

Der Haupteinwand dagegen lautet stets: Ja, aber was ist mit Einstein, was mit Galileo? Wurden nicht die klügsten Köpfe der Menschheit einst angefeindet oder verlacht, und standen ihre Thesen nicht im Widerspruch zur damals gültigen Weltsicht? […] Große Wissenschafter mögen Denkmäler ihrer Disziplinen von Thron stoßen und anerkanntes Wissen aushebeln, doch sie bewegen sich dabei innerhalb eines genormten Korsetts, verwenden geeichte Werkzeuge ihrer Fächer, sprechen und zanken mit Kollegen und auch Kritikern in derselben Sprache, betten neue, gängigen Erkenntnissen zuwiderlaufende Ideen immer in einen Konsensrahmen ein. Nie stellen sie sich einfach hin und postulieren wie aus dem Nichts die Existenz von rosa Aliens. Das ist der Unterschied zwischen streit-und fehlbarer Wissenschaft und blankem Nonsens. […]

Warum aber weichen manche von ihnen von diesem Weg ab? Geht es um Publicity? […] Vielleicht tritt bisweilen aber auch eine Sonderform des Dunning-Kruger-Effekts ein. Dieser bezeichnet grundsätzlich den Umstand, dass dumme Menschen im Regelfall ihre Fähigkeiten als besonders hoch einschätzen, während kluge Geister eher zu Bescheidenheit in Bezug auf ihre Leistungen neigen.

Den ganzen Beitrag von Alwin Schönberger findest du hier:

https://www.profil.at/wissenschaft/pseudowissenschaft-8592768 [15.01.2018]